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21.03.2025 Man findet den Gral nur in sich selbst
Man findet den Gral nur in sich selbst
Bei ihrer Premiere erregte Calixto Bietos Inszenierung von Richard Wagners „Parsifal“ in ihrer radikalen Lesart des „Bühnenweihfestspiels“ viel Aufsehen. Im Vorfeld dazu hatte der Regisseur mit Dramaturg Xavier Zuber ein Interview geführt. Ein Gespräch über Religion, Wagners Musik und die Figuren in „Parsifal“.
XZ: Heutzutage haben wir immer den Wunsch, dem Leben eine bestimmte Zielrichtung zu geben, wir suchen nach Halt – das Verlangen nach einer Spiritualität hängt auch damit zusammen.
CB: Die Art, wie wir arbeiten, hängt immer mit dem zusammen, was den Menschen gerade umtreibt. Ich denke, wir versuchen dahinter zu kommen, was Wagner hier geschaffen hat, als er Bedürfnisse erfand, um die Leute zu beeindrucken. Wir versuchen das, was hinter all diesen von ihm verwendeten Mythen aus Religion und Literatur steckt, an die Oberfläche zu bringen und diese Figuren mit all ihren Fehlern und Vorzügen zu zeigen. Für mich bedeutet Spiritualität in einem gewissen Sinn Menschlichkeit, etwas, an das man heute erinnern muss. Ich glaube, dass es im Leben nichts Wichtigeres gibt als Liebe. Auf die Frage der Religion antworte ich: Das ‚Königreich des Herrn’ ist hier und die ‚Ewigkeit’ ist jetzt. Mit dieser Einstellung begegne ich hier dem Parsifal.
XZ: Wie viel Religion steckt im Parsifal?
CB: Ich dachte, dass das Stück die Möglichkeit bietet, über die heutige Krise der Religionen zu sprechen. Der fehlende Respekt der Menschen untereinander beunruhigt mich, auch der Fanatismus mancher Teile einiger Religionen. Das Stück spiegelt meine Emotionen wieder. Auf jeden Fall versucht Wagner, eine religiöse Musik zu erschaffen. Seine Musik hat eine Architektur, sie ist wie ein Gebäude aufgebaut, wie eine Art Kathedrale. Ich glaube, Wagners Religion war seine Musik, er baute eine Kirche für seine Kunst. Ich dachte auch viel an Anselm Kiefer. Als ich mir Susanne Gschwenders Zeichnungen und Fotos anschaute und die Materialien sah, die sie verwenden wollte, fühlte ich mich sofort an dessen Neo-Expressionismus erinnert. Die Religion ist ja die Summe der Dinge, an die Menschen glauben, sie stellt aber auch eine Lebensart dar, indem sie Regeln dafür aufstellt, wie man leben muss. Aber wir haben uns entschieden, den Parsifal in einem Moment des Scheiterns jedweder Religion zu beginnen. Die Figuren, in ihrer Orientierungslosigkeit, suchen eine spirituelle Antwort.
XZ: Würdest Du sagen, dass Parsifal ein spezifisch deutsches Stück ist?
CB: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob Deutsche gut daran tun, das zu sagen. Natürlich ist es ein deutsches Stück, weil es auf Deutsch verfasst ist und die Musik von einem Deutschen komponiert wurde. Aber es wirkt auf mich wie Shakespeare: Ich denke, dass es eher ein Teil einer europäischen Art zu denken darstellt. Die Dominanz der christlichen Ikonographie zeigt das allzu deutlich: diese katholischen Osterrituale, der Karfreitag und so weiter.
XZ: Aber diese Rituale sind doch von Wagner verändert worden. Er zeigt das Ritual als Fluch, er glaubt nicht mehr an die Macht der Religion, oder?
CB: Nein, ich denke, er glaubt an die Macht der Musik und im Grunde genommen an das Künstlertum. Es gibt eine große Menge an Themen, bei denen man sich entscheiden muss. Wenn man liest, was im Text steht, so schreibt Wagner über verzweifelte Menschen, die am Ende nach einer Erklärung für ihr Leben suchen. Das ist für mich der Motor und die Dynamik des Stücks. Wagners Musik ist nicht statisch, sie ist komplett in Bewegung. Das ist ein sehr europäisches, sehr abendländisches Thema. Die Aktualisierung war sehr einfach, weil wir die Wirtschaftskrise haben, in der das kapitalistische System sich in der Krise befindet. Aber in dem Stück geht es auch um was anderes. Es geht um die Krise der Spiritualität, die auch von dem Versagen der Religion verursacht wird, da sie die den Menschen Hilfe verspricht. Das lässt sich an der Krise der katholischen Kirche sehen.
XZ: Aber eine Krise ist auch immer ein Moment, in dem man beginnt, darüber nachzudenken, wie man die Dinge verändern kann. Manchmal bedeuten Krisen auch, dass Veränderungen im Gang sind.
CB: Ja, es bedeutet eine große Chance, weil man etwas Besseres finden muss oder finden will. Deshalb denke ich, dass die Art, in der wir das Stück lesen, sehr human ist. Es erzählt von der Krise und der Veränderung in einem. Es ist das Begehren des Menschen, sich zu verändern. Hört man allerdings auf zu begehren, lässt sich ein ruhigeres Leben führen – wie beispielsweise Amfortas. Parsifal ist voll von diesen Themen, über die Menschen auch heute häufig sprechen.
XZ: Was denkst Du ist das Besondere an Wagners Theater?
CB: Wagner ist aus meiner Sicht der größte Theater-Regisseur der Operngeschichte und ein fantastischer Musiker, aber er ordnet seine Musik seiner Theaterdramaturgie unter. Er erschafft Mythen, um die Bourgeoisie zu beeindrucken, um die Leute zu beeinflussen. Und ich denke, wir müssen die Oper in einen Kontext setzen, da sie sonst zu schnell in eine geistige Welt zu entschweben droht. Also haben wir den Parsifal in eine apokalyptische Welt verlegt. Erst so kann das Stück in seiner ursprünglichen Form gelesen werden, damit geklärt werden kann, was hinter den Figuren steckt.
CB: Die Art, wie wir arbeiten, hängt immer mit dem zusammen, was den Menschen gerade umtreibt. Ich denke, wir versuchen dahinter zu kommen, was Wagner hier geschaffen hat, als er Bedürfnisse erfand, um die Leute zu beeindrucken. Wir versuchen das, was hinter all diesen von ihm verwendeten Mythen aus Religion und Literatur steckt, an die Oberfläche zu bringen und diese Figuren mit all ihren Fehlern und Vorzügen zu zeigen. Für mich bedeutet Spiritualität in einem gewissen Sinn Menschlichkeit, etwas, an das man heute erinnern muss. Ich glaube, dass es im Leben nichts Wichtigeres gibt als Liebe. Auf die Frage der Religion antworte ich: Das ‚Königreich des Herrn’ ist hier und die ‚Ewigkeit’ ist jetzt. Mit dieser Einstellung begegne ich hier dem Parsifal.
XZ: Wie viel Religion steckt im Parsifal?
CB: Ich dachte, dass das Stück die Möglichkeit bietet, über die heutige Krise der Religionen zu sprechen. Der fehlende Respekt der Menschen untereinander beunruhigt mich, auch der Fanatismus mancher Teile einiger Religionen. Das Stück spiegelt meine Emotionen wieder. Auf jeden Fall versucht Wagner, eine religiöse Musik zu erschaffen. Seine Musik hat eine Architektur, sie ist wie ein Gebäude aufgebaut, wie eine Art Kathedrale. Ich glaube, Wagners Religion war seine Musik, er baute eine Kirche für seine Kunst. Ich dachte auch viel an Anselm Kiefer. Als ich mir Susanne Gschwenders Zeichnungen und Fotos anschaute und die Materialien sah, die sie verwenden wollte, fühlte ich mich sofort an dessen Neo-Expressionismus erinnert. Die Religion ist ja die Summe der Dinge, an die Menschen glauben, sie stellt aber auch eine Lebensart dar, indem sie Regeln dafür aufstellt, wie man leben muss. Aber wir haben uns entschieden, den Parsifal in einem Moment des Scheiterns jedweder Religion zu beginnen. Die Figuren, in ihrer Orientierungslosigkeit, suchen eine spirituelle Antwort.
XZ: Würdest Du sagen, dass Parsifal ein spezifisch deutsches Stück ist?
CB: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob Deutsche gut daran tun, das zu sagen. Natürlich ist es ein deutsches Stück, weil es auf Deutsch verfasst ist und die Musik von einem Deutschen komponiert wurde. Aber es wirkt auf mich wie Shakespeare: Ich denke, dass es eher ein Teil einer europäischen Art zu denken darstellt. Die Dominanz der christlichen Ikonographie zeigt das allzu deutlich: diese katholischen Osterrituale, der Karfreitag und so weiter.
XZ: Aber diese Rituale sind doch von Wagner verändert worden. Er zeigt das Ritual als Fluch, er glaubt nicht mehr an die Macht der Religion, oder?
CB: Nein, ich denke, er glaubt an die Macht der Musik und im Grunde genommen an das Künstlertum. Es gibt eine große Menge an Themen, bei denen man sich entscheiden muss. Wenn man liest, was im Text steht, so schreibt Wagner über verzweifelte Menschen, die am Ende nach einer Erklärung für ihr Leben suchen. Das ist für mich der Motor und die Dynamik des Stücks. Wagners Musik ist nicht statisch, sie ist komplett in Bewegung. Das ist ein sehr europäisches, sehr abendländisches Thema. Die Aktualisierung war sehr einfach, weil wir die Wirtschaftskrise haben, in der das kapitalistische System sich in der Krise befindet. Aber in dem Stück geht es auch um was anderes. Es geht um die Krise der Spiritualität, die auch von dem Versagen der Religion verursacht wird, da sie die den Menschen Hilfe verspricht. Das lässt sich an der Krise der katholischen Kirche sehen.
XZ: Aber eine Krise ist auch immer ein Moment, in dem man beginnt, darüber nachzudenken, wie man die Dinge verändern kann. Manchmal bedeuten Krisen auch, dass Veränderungen im Gang sind.
CB: Ja, es bedeutet eine große Chance, weil man etwas Besseres finden muss oder finden will. Deshalb denke ich, dass die Art, in der wir das Stück lesen, sehr human ist. Es erzählt von der Krise und der Veränderung in einem. Es ist das Begehren des Menschen, sich zu verändern. Hört man allerdings auf zu begehren, lässt sich ein ruhigeres Leben führen – wie beispielsweise Amfortas. Parsifal ist voll von diesen Themen, über die Menschen auch heute häufig sprechen.
XZ: Was denkst Du ist das Besondere an Wagners Theater?
CB: Wagner ist aus meiner Sicht der größte Theater-Regisseur der Operngeschichte und ein fantastischer Musiker, aber er ordnet seine Musik seiner Theaterdramaturgie unter. Er erschafft Mythen, um die Bourgeoisie zu beeindrucken, um die Leute zu beeinflussen. Und ich denke, wir müssen die Oper in einen Kontext setzen, da sie sonst zu schnell in eine geistige Welt zu entschweben droht. Also haben wir den Parsifal in eine apokalyptische Welt verlegt. Erst so kann das Stück in seiner ursprünglichen Form gelesen werden, damit geklärt werden kann, was hinter den Figuren steckt.

Calixto Bieito hat in seiner Inszenierung Parsifal in eine apokalyptische Welt verlegt.
Foto: Martin Sigmund
Foto: Martin Sigmund
XZ: Wenn man sich dies ansieht, so kann man oft trotz der Krise eine Heiterkeit feststellen. Bei Gurnemanz oder Kundry zum Beispiel. Manchmal kommt es mir vor, als ob wir Humor oder Sarkasmus bei Wagner übersehen.
CB: Ich muss sagen, einige Teile des Wagner-Textes sind für mich auf eine Art sehr, sehr witzig. Diese Heiterkeit sehe ich eher als ein Anzeichen von Krankheit und Tollheit. Gurnemanz ist besessen und Kundry toll. Das sind die verrückten und manchmal auch albernen Seiten des Stücks.
XZ: Führt das in den Figuren zu diesen extremen emotionalen Veränderungen: von der Heiterkeit zur Verzweiflung bis zur traurigen Agonie?
CB: Die Motivation ist Hysterie. Es ist die Krankheit unserer abendländischen Gesellschaft, weil sie ihre Sicherheit verloren hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Menschen sich rein von Gefühlen leiten lassen. Der Parsifal funktioniert genau in diesem Punkt wunderbar auch mit der von Wagner intendierten Radikalität.
XZ: Im ersten Akt verlegen wir das Geschehen in eine Sekte. Die Sprache gleicht der einer Sekte: das Beschwören der Rituale und die Forderung nach Symbolen, um die Menschen in ihren Ängsten zu beruhigen.
CB: Wir versuchen, ähnlich wie Wagner, die Symbole anders einzusetzen. Wagner schuf Symbole, um die Menschen zu verführen und wir unterlaufen diese Symbole, indem wir sie an die Figuren zurückbinden. Sie sind oft nur eine umständliche Krücke auf dem Weg, sich selbst ein Leben zu ermöglichen.
XZ: Die Gesellschaft, die wir beschreiben und darstellen, ist auch von Furcht geprägt. Ist das ein ‚fin de siècle’-Phänomen?
CB: Ja, wahrscheinlich, denn wir haben es mit einem Wagner zu tun, der am Ende seines Lebens seine letzte Oper schreibt. Es ist die immerwährende Geschichte der Liebe im Alter. Er wird dabei in der Wortwahl sehr brutal, weil er alt ist und denkt, dass es ihm nicht mehr möglich sein wird, zu lieben. Er muss sich dem Thema Tod stellen. Das Thema Religiosität stellt sich dabei von selbst ein. Es gibt viele Fälle von fantastischen Künstlern, die ihr ganzes Leben dem Hier und Jetzt gewidmet haben und am Ende ihres Lebens religiös wurden.
XZ: Dieser Gedanke ist interessant. Man sagt, dass man ab vierzig Krisen erlebt, die einem manchmal die Grenzen dessen zeigen, wozu man noch fähig ist oder nicht mehr fähig ist. Manche Illusionen werden dann schon zerstört. Im Parsifal haben wir auch dieses Moment der Desillusionierung. Manche Figuren verharren deshalb in einer totalen Agonie.
CB: Ja, der Text feiert die Desillusionierung. Und die Musik reagiert mit einer Trauer, die der totalen Verzweiflung nahe steht. Aber dann gibt es am Ende des ersten Aktes beispielsweise eine großartige Musik, ein Aufbäumen, das dann plötzlich wieder an einer Stelle ins Bodenlose abzufallen scheint.
XZ: Die Musik scheint immer in ihrer Unschärfe einer Abwärtsbewegung verschrieben, obwohl es immer wieder diese ganz präzisen Momente gibt, in denen klare Motive herausgestellt werden.
CB: Ja, der ganze dritte Akt ist ein großes ‚decrescendo‘. Das ist das Interessante an der Musik, denn es gibt einem die Möglichkeit, das Stück sehr genau zu deuten.
XZ: Aber wenn wir von Desillusionierung sprechen, meinen wir eine Desillusionierung im Sinne von Nüchternheit. Obwohl ich denke, dass die Musik manchmal auch melodramatische Züge hat, wie die ständigen Wiederholungen der Erzählungen zeigen, in denen die ganze Zeit über Dinge geklagt wird, die besser nicht passiert wären.
CB: Das ist Wagnerisches Pathos und trotzdem kann ich mich damit identifizieren. In Shakespeares King Lear oder Aus einem Totenhaus, Janáčeks letztem Stück, kann man das auch finden. Aber während Janáček versucht, Hoffnung zu finden, ist Wagner ehrgeiziger, er versucht, etwas Heiliges zu schaffen.
XZ: Das Heilige im Menschen?
CB: Ja. Zufällig habe ich dieses Jahr die letzten Stücke von drei großen Komponisten gemacht. Es war eine Art Trilogie: Janáčeks Aus einem Totenhaus, Ligetis Le Grand Macabre und jetzt Parsifal: die Hoffnung, der Sarkasmus im Angesicht des Todes und jetzt das Heilige. Alle drei Stücke arbeiten mit der Hoffnung hinter der Grimasse des Todes. Das ist witzig, denn es ist eine sarkastische Vision der Apokalypse.
XZ: Wer ist sarkastisch in Bezug auf die Apokalypse? Der Komponist? Oder die Interpretation?
CB: Der Komponist.
XZ: Wagner sagt: Als Künstler muss ich moralisch sein.
CB: Wagner feiert doch das Leben. Die drei Opern haben für mich viel Gemeinsames und ich begann, in einem langen Bogen zu denken. Ich mache das zum ersten Mal. Ich denke über extrem lange Themenbögen nach: die Hoffnung, die Verspottung des Todes durch die Liebe, der spöttische Sarkasmus dem Tod gegenüber, die Sehnsucht nach Spiritualität und die Hoffnung der Menschen.
CB: Ich muss sagen, einige Teile des Wagner-Textes sind für mich auf eine Art sehr, sehr witzig. Diese Heiterkeit sehe ich eher als ein Anzeichen von Krankheit und Tollheit. Gurnemanz ist besessen und Kundry toll. Das sind die verrückten und manchmal auch albernen Seiten des Stücks.
XZ: Führt das in den Figuren zu diesen extremen emotionalen Veränderungen: von der Heiterkeit zur Verzweiflung bis zur traurigen Agonie?
CB: Die Motivation ist Hysterie. Es ist die Krankheit unserer abendländischen Gesellschaft, weil sie ihre Sicherheit verloren hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Menschen sich rein von Gefühlen leiten lassen. Der Parsifal funktioniert genau in diesem Punkt wunderbar auch mit der von Wagner intendierten Radikalität.
XZ: Im ersten Akt verlegen wir das Geschehen in eine Sekte. Die Sprache gleicht der einer Sekte: das Beschwören der Rituale und die Forderung nach Symbolen, um die Menschen in ihren Ängsten zu beruhigen.
CB: Wir versuchen, ähnlich wie Wagner, die Symbole anders einzusetzen. Wagner schuf Symbole, um die Menschen zu verführen und wir unterlaufen diese Symbole, indem wir sie an die Figuren zurückbinden. Sie sind oft nur eine umständliche Krücke auf dem Weg, sich selbst ein Leben zu ermöglichen.
XZ: Die Gesellschaft, die wir beschreiben und darstellen, ist auch von Furcht geprägt. Ist das ein ‚fin de siècle’-Phänomen?
CB: Ja, wahrscheinlich, denn wir haben es mit einem Wagner zu tun, der am Ende seines Lebens seine letzte Oper schreibt. Es ist die immerwährende Geschichte der Liebe im Alter. Er wird dabei in der Wortwahl sehr brutal, weil er alt ist und denkt, dass es ihm nicht mehr möglich sein wird, zu lieben. Er muss sich dem Thema Tod stellen. Das Thema Religiosität stellt sich dabei von selbst ein. Es gibt viele Fälle von fantastischen Künstlern, die ihr ganzes Leben dem Hier und Jetzt gewidmet haben und am Ende ihres Lebens religiös wurden.
XZ: Dieser Gedanke ist interessant. Man sagt, dass man ab vierzig Krisen erlebt, die einem manchmal die Grenzen dessen zeigen, wozu man noch fähig ist oder nicht mehr fähig ist. Manche Illusionen werden dann schon zerstört. Im Parsifal haben wir auch dieses Moment der Desillusionierung. Manche Figuren verharren deshalb in einer totalen Agonie.
CB: Ja, der Text feiert die Desillusionierung. Und die Musik reagiert mit einer Trauer, die der totalen Verzweiflung nahe steht. Aber dann gibt es am Ende des ersten Aktes beispielsweise eine großartige Musik, ein Aufbäumen, das dann plötzlich wieder an einer Stelle ins Bodenlose abzufallen scheint.
XZ: Die Musik scheint immer in ihrer Unschärfe einer Abwärtsbewegung verschrieben, obwohl es immer wieder diese ganz präzisen Momente gibt, in denen klare Motive herausgestellt werden.
CB: Ja, der ganze dritte Akt ist ein großes ‚decrescendo‘. Das ist das Interessante an der Musik, denn es gibt einem die Möglichkeit, das Stück sehr genau zu deuten.
XZ: Aber wenn wir von Desillusionierung sprechen, meinen wir eine Desillusionierung im Sinne von Nüchternheit. Obwohl ich denke, dass die Musik manchmal auch melodramatische Züge hat, wie die ständigen Wiederholungen der Erzählungen zeigen, in denen die ganze Zeit über Dinge geklagt wird, die besser nicht passiert wären.
CB: Das ist Wagnerisches Pathos und trotzdem kann ich mich damit identifizieren. In Shakespeares King Lear oder Aus einem Totenhaus, Janáčeks letztem Stück, kann man das auch finden. Aber während Janáček versucht, Hoffnung zu finden, ist Wagner ehrgeiziger, er versucht, etwas Heiliges zu schaffen.
XZ: Das Heilige im Menschen?
CB: Ja. Zufällig habe ich dieses Jahr die letzten Stücke von drei großen Komponisten gemacht. Es war eine Art Trilogie: Janáčeks Aus einem Totenhaus, Ligetis Le Grand Macabre und jetzt Parsifal: die Hoffnung, der Sarkasmus im Angesicht des Todes und jetzt das Heilige. Alle drei Stücke arbeiten mit der Hoffnung hinter der Grimasse des Todes. Das ist witzig, denn es ist eine sarkastische Vision der Apokalypse.
XZ: Wer ist sarkastisch in Bezug auf die Apokalypse? Der Komponist? Oder die Interpretation?
CB: Der Komponist.
XZ: Wagner sagt: Als Künstler muss ich moralisch sein.
CB: Wagner feiert doch das Leben. Die drei Opern haben für mich viel Gemeinsames und ich begann, in einem langen Bogen zu denken. Ich mache das zum ersten Mal. Ich denke über extrem lange Themenbögen nach: die Hoffnung, die Verspottung des Todes durch die Liebe, der spöttische Sarkasmus dem Tod gegenüber, die Sehnsucht nach Spiritualität und die Hoffnung der Menschen.

Auch wenn Parsifal düster ist, gibt es dennoch Hoffnung
Foto: Martin Sigmund
Foto: Martin Sigmund
XZ: Und die Antwort auf alle drei Stücke?
CB: Liebe. Dies ist die einzige Antwort. Und das Thema ist die Ewigkeit im Hier und Jetzt. Ewigkeit ist, wenn man sich dem Leben stellt. Ich meine dabei nicht das Genießen. Ich rede davon, dass man die Menschen und sich selbst mit Respekt behandeln muss. Das ist das Schönste.
XZ: Ja, das ist der Kern, da müssen wir hinkommen, aber zum Respekt gehört der Glaube an sich selbst.
CB: An sich selbst und an etwas Einfacheres: an Freundschaft und Liebe und daran, ehrlich mit sich und den Menschen um sich herum zu sein. Übertrage deine Ängste nicht auf andere Menschen und zerstöre weder dich noch die Anderen, denn das bedeutet Finsternis für die Menschen.
XZ: Ich muss oft darüber nachdenken, ob Amfortas nicht jemand ist, der an Freundschaft glaubt, weil er den Glauben an die Religion verloren hat und ob es an dem Punkt nicht einen Moment gibt, an dem das deutlich wird: Freundschaft und Liebe. Vielleicht gab es etwas zwischen Kundry und Parsifal. Vielleicht sind sie nur physisch getrennt worden. Wenn der Vorhang sich öffnet, sehe ich sie irgendwo zusammen schlafen. Bis die Manipulation sie trennt.
CB: Ja, das Trennen. Das ist die Geschichte der Kirche.
XZ: Das Trennen?
CB: Ja. Man kann es alles in den Geschichten nachlesen. Es war Konstantin, der entschied, was geglaubt werden darf und was nicht, sprich: welche Evangelien Gültigkeit haben sollten. Er erklärte beispielsweise Maria Magdalena zu einer Hure. So wird Glaube zu einer Machtfrage. Es geht um die Kontrolle über die Gesellschaft und den Menschen. Die Gedanken werden Gesetzen unterworfen.
XZ: Der frühe Wagner war gegen jedwede Gesetze, die der menschlichen Natur und Freiheit entgegenstanden.
CB: Das ist die Geschichte der Institution Kirche. Und Wagner erschafft dagegen eine neue Institution für das Musiktheater: Bayreuth. Er erschafft eine riesige Maschine und sagt: Ihr müsst so zuhören, die Sänger müssen so singen und spielen, die Musik ist so komponiert, die Architektur ist so zu nutzen. Aber die Geschichte wird noch schlimmer: Die Menschen fingen an, um Wagner herum eine Kirche zu bauen.
XZ: Was war Deine Reaktion, als Du Wagners Sprache zum ersten Mal gelesen hast? Was hältst Du von den Figuren, wenn Du zum Beispiel daran denkst, wie Amfortas redet?
CB: Du hast zu mir gesagt, es sei ein deutsches Stück. Ich sagte: Ich weiß es nicht, weil ich kein Deutscher bin. Aber diese Sprache kam mir bekannt vor. Viele Leute sagen, das Stück sei sehr christlich oder buddhistisch. Aus meiner Sicht ist es voller Klischees, katholischer Klischees, weil mir die Sprache sehr bekannt vorkommt: das Leiden, der Schmerz, all diese Dinge. Man soll sein Begehren aufgeben: Das ist katholisch. Diese Ideen sind sehr düster.
XZ: Und welcher Text ist der interessanteste?
CB: Das ist die Figur Kundry.
XZ: Warum?
CB: Weil ihr Text die größte poetische Qualität besitzt und in Verweigerung gegenüber der Gralsgesellschaft erstaunlich reflektiert ist. Ihr Text ist offen. Der Text der anderen ist inhaltlich enger, ideologischer, Kundry aber redet eher über die Finsternis, über die Qual des Lebens, auf – ich will nicht sagen positivere – eine viel bewältigendere Art und Weise. Ihr Text ist menschlicher, einfacher. Sie versucht nicht, die anderen zu belehren, und das macht die Figur so beeindruckend. Denn alle anderen Figuren, Gurnemanz, die Ritter etc., versuchen, die anderen zu belehren, während Kundry einfach nur sagt: ‚Ich helfe nie’.
CB: Liebe. Dies ist die einzige Antwort. Und das Thema ist die Ewigkeit im Hier und Jetzt. Ewigkeit ist, wenn man sich dem Leben stellt. Ich meine dabei nicht das Genießen. Ich rede davon, dass man die Menschen und sich selbst mit Respekt behandeln muss. Das ist das Schönste.
XZ: Ja, das ist der Kern, da müssen wir hinkommen, aber zum Respekt gehört der Glaube an sich selbst.
CB: An sich selbst und an etwas Einfacheres: an Freundschaft und Liebe und daran, ehrlich mit sich und den Menschen um sich herum zu sein. Übertrage deine Ängste nicht auf andere Menschen und zerstöre weder dich noch die Anderen, denn das bedeutet Finsternis für die Menschen.
XZ: Ich muss oft darüber nachdenken, ob Amfortas nicht jemand ist, der an Freundschaft glaubt, weil er den Glauben an die Religion verloren hat und ob es an dem Punkt nicht einen Moment gibt, an dem das deutlich wird: Freundschaft und Liebe. Vielleicht gab es etwas zwischen Kundry und Parsifal. Vielleicht sind sie nur physisch getrennt worden. Wenn der Vorhang sich öffnet, sehe ich sie irgendwo zusammen schlafen. Bis die Manipulation sie trennt.
CB: Ja, das Trennen. Das ist die Geschichte der Kirche.
XZ: Das Trennen?
CB: Ja. Man kann es alles in den Geschichten nachlesen. Es war Konstantin, der entschied, was geglaubt werden darf und was nicht, sprich: welche Evangelien Gültigkeit haben sollten. Er erklärte beispielsweise Maria Magdalena zu einer Hure. So wird Glaube zu einer Machtfrage. Es geht um die Kontrolle über die Gesellschaft und den Menschen. Die Gedanken werden Gesetzen unterworfen.
XZ: Der frühe Wagner war gegen jedwede Gesetze, die der menschlichen Natur und Freiheit entgegenstanden.
CB: Das ist die Geschichte der Institution Kirche. Und Wagner erschafft dagegen eine neue Institution für das Musiktheater: Bayreuth. Er erschafft eine riesige Maschine und sagt: Ihr müsst so zuhören, die Sänger müssen so singen und spielen, die Musik ist so komponiert, die Architektur ist so zu nutzen. Aber die Geschichte wird noch schlimmer: Die Menschen fingen an, um Wagner herum eine Kirche zu bauen.
XZ: Was war Deine Reaktion, als Du Wagners Sprache zum ersten Mal gelesen hast? Was hältst Du von den Figuren, wenn Du zum Beispiel daran denkst, wie Amfortas redet?
CB: Du hast zu mir gesagt, es sei ein deutsches Stück. Ich sagte: Ich weiß es nicht, weil ich kein Deutscher bin. Aber diese Sprache kam mir bekannt vor. Viele Leute sagen, das Stück sei sehr christlich oder buddhistisch. Aus meiner Sicht ist es voller Klischees, katholischer Klischees, weil mir die Sprache sehr bekannt vorkommt: das Leiden, der Schmerz, all diese Dinge. Man soll sein Begehren aufgeben: Das ist katholisch. Diese Ideen sind sehr düster.
XZ: Und welcher Text ist der interessanteste?
CB: Das ist die Figur Kundry.
XZ: Warum?
CB: Weil ihr Text die größte poetische Qualität besitzt und in Verweigerung gegenüber der Gralsgesellschaft erstaunlich reflektiert ist. Ihr Text ist offen. Der Text der anderen ist inhaltlich enger, ideologischer, Kundry aber redet eher über die Finsternis, über die Qual des Lebens, auf – ich will nicht sagen positivere – eine viel bewältigendere Art und Weise. Ihr Text ist menschlicher, einfacher. Sie versucht nicht, die anderen zu belehren, und das macht die Figur so beeindruckend. Denn alle anderen Figuren, Gurnemanz, die Ritter etc., versuchen, die anderen zu belehren, während Kundry einfach nur sagt: ‚Ich helfe nie’.

Christiane Libor in der Rolle der Kundry. Nach Meinung Calixto Bieitos die interessanteste Rolle.
Foto: Martin Sigmund
Foto: Martin Sigmund
XZ: Gilt das nicht auch für Amfortas? Er belehrt uns auch nicht.
CB: Er belehrt uns nicht, aber wenn man sich seinen Text so anschaut, dann steht dieser für Schmerz. Amfortas stellt seinen Schmerz zur Schau. Man könnte das Stück so lesen, dass Amfortas immer noch verliebt ist und sich selbst dafür foltert. Es könnte sein. Warum nicht?
XZ: Eine Nebengeschichte?
CB: Ja und Nein, Kundry ist gefangen, denn sie redet über die Nacht, darüber, nicht zu schlafen. Es ist einfacher. Es ist wirklich wundervoll. Es ist ein scheinbar moderner Text. Auf eine Art ist es ein sehr zeitgemäßer Text. Gurnemanz ist da konventioneller.
XZ: Er ist ein Geschichtenerzähler.
CB: Er ist ein Geschichtenerzähler, aber gleichzeitig steckt hinter diesem Geschichtenerzähler eine sehr mächtige Figur. Denn manchmal steckt die größte Geschichte nicht in den Helden, sondern hinter den Helden. Und diese Rolle hat Gurnemanz. Für mich ist er ein Fanatiker. Er ist eine Art Improvisator, der an den Ritualen und den bestehenden Strukturen der Sekte festhalten will. Es ist eine sehr starke Figur, auch für Wagner, denn er hat mehr Musik für ihn geschrieben als für die anderen Figuren. Das heißt, Gurnemanz ist für die Dramaturgie des Stücks sehr wichtig. Er ist jemand, der einerseits an die Spiritualität glaubt, andererseits aber versucht, ihr einen neuen Inhalt zu geben. Er ist ein Besessener und ein Manipulator. Das war uns von Anfang an klar. Aber die großartigste Figur im Parsifal bleibt auf jeden Fall Kundry. Hier sehe ich Wagner sehr positiv. Ich denke, Kundry hat etwas Freundliches an sich, auch wenn Wagner sie zerstört. Sie ist nicht nur rätselhaft. Ich sagte Christiane Iven am ersten Probentag: Lass uns nicht über die Rolle sprechen, das wäre eine Katastrophe. Sie weiß, was das heißt. Ich möchte eine unverstellte, menschliche Kundry.
XZ: Lass uns über Parsifal sprechen, denn er ist die Titelfigur. Wir haben diese sehr starke Musik von Wagner, die Erlösung verspricht, symbolisiert vom Licht und von der Taube. Du hast gesagt, dass der Respekt und die Liebe in uns selbst sind. Wird man das auch auf der Bühne sehen?
CB: Ja, das hoffe ich. Ich habe den Parsifal mit meiner Tradition, mit Calderóns Das Leben ist ein Traum in Verbindung gebracht. Parsifal ist ein Tor, er ist ein Mann, der wie Kaspar Hauser im Wald verloren ist. Er beginnt, die Schuld zu spüren, die Verantwortung, zu wissen, was passiert. Er ist verwirrt. Er fängt an, Begehren zu verspüren. Und hier rücke ich von Wagner ab, denn wir brauchen das Begehren zum Leben. Dieser Ansatz ist interessant, denn Parsifal beginnt, Erlösung, Schuld, Begehren und Verwirrung zu entdecken. Gurnemanz lässt ihn glauben, er könne ein Held sein. Gurnemanz ‚errichtet’ Parsifal.
XZ: Und die Liebe?
CB: Wie gesagt, die einzige Antwort auf Religion ist die Liebe. Wir müssen das alles aus einer historischen Perspektive betrachten. Wir wissen, dass die Religion viele Katastrophen in der Gesellschaft zu verantworten hat.
XZ: Das ist der militärische Charakter der Oper: die Gralsburg, die Aufmärsche der Gralsritter etc.
CB: Ja, das ist hier der Fanatismus. Diese Musik klingt großartig. Beispielsweise die Musik am Ende des ersten Akts. Ich war sehr überrascht, da ich mich nicht daran erinnern konnte, dass sie bei den Nazis sehr beliebt war, denn diese Musik ist sehr militärisch, aber gleichzeitig benennt sie eine straff geführte Glaubensgemeinschaft, eine Sekte. In Parsifal geht es darum, Dinge im Namen der Liebe zu tun. Das Stück, dieses heilige etwas, diese heilige Musik, weckt Liebe in mir. Es ist schön, es zu erleben, als wäre es Liebe, reine Liebe.
XZ: Ist das der Gral?
CB: Für mich ist der Gral jeglicher Becher, jegliches Symbol. Wir werden hunderte Symbole in dieser Produktion entdecken, denn ich denke, dass das der Gral ist. Ich will den Gral nicht oberflächlich darstellen, das ist nicht mein Stil. Der Gral ist das, was Kung-Fu-Panda im gleichnamigen Film in dem Schrein findet: Ein leeres Stück Papier. Man findet den Gral nur in sich selbst.
CB: Er belehrt uns nicht, aber wenn man sich seinen Text so anschaut, dann steht dieser für Schmerz. Amfortas stellt seinen Schmerz zur Schau. Man könnte das Stück so lesen, dass Amfortas immer noch verliebt ist und sich selbst dafür foltert. Es könnte sein. Warum nicht?
XZ: Eine Nebengeschichte?
CB: Ja und Nein, Kundry ist gefangen, denn sie redet über die Nacht, darüber, nicht zu schlafen. Es ist einfacher. Es ist wirklich wundervoll. Es ist ein scheinbar moderner Text. Auf eine Art ist es ein sehr zeitgemäßer Text. Gurnemanz ist da konventioneller.
XZ: Er ist ein Geschichtenerzähler.
CB: Er ist ein Geschichtenerzähler, aber gleichzeitig steckt hinter diesem Geschichtenerzähler eine sehr mächtige Figur. Denn manchmal steckt die größte Geschichte nicht in den Helden, sondern hinter den Helden. Und diese Rolle hat Gurnemanz. Für mich ist er ein Fanatiker. Er ist eine Art Improvisator, der an den Ritualen und den bestehenden Strukturen der Sekte festhalten will. Es ist eine sehr starke Figur, auch für Wagner, denn er hat mehr Musik für ihn geschrieben als für die anderen Figuren. Das heißt, Gurnemanz ist für die Dramaturgie des Stücks sehr wichtig. Er ist jemand, der einerseits an die Spiritualität glaubt, andererseits aber versucht, ihr einen neuen Inhalt zu geben. Er ist ein Besessener und ein Manipulator. Das war uns von Anfang an klar. Aber die großartigste Figur im Parsifal bleibt auf jeden Fall Kundry. Hier sehe ich Wagner sehr positiv. Ich denke, Kundry hat etwas Freundliches an sich, auch wenn Wagner sie zerstört. Sie ist nicht nur rätselhaft. Ich sagte Christiane Iven am ersten Probentag: Lass uns nicht über die Rolle sprechen, das wäre eine Katastrophe. Sie weiß, was das heißt. Ich möchte eine unverstellte, menschliche Kundry.
XZ: Lass uns über Parsifal sprechen, denn er ist die Titelfigur. Wir haben diese sehr starke Musik von Wagner, die Erlösung verspricht, symbolisiert vom Licht und von der Taube. Du hast gesagt, dass der Respekt und die Liebe in uns selbst sind. Wird man das auch auf der Bühne sehen?
CB: Ja, das hoffe ich. Ich habe den Parsifal mit meiner Tradition, mit Calderóns Das Leben ist ein Traum in Verbindung gebracht. Parsifal ist ein Tor, er ist ein Mann, der wie Kaspar Hauser im Wald verloren ist. Er beginnt, die Schuld zu spüren, die Verantwortung, zu wissen, was passiert. Er ist verwirrt. Er fängt an, Begehren zu verspüren. Und hier rücke ich von Wagner ab, denn wir brauchen das Begehren zum Leben. Dieser Ansatz ist interessant, denn Parsifal beginnt, Erlösung, Schuld, Begehren und Verwirrung zu entdecken. Gurnemanz lässt ihn glauben, er könne ein Held sein. Gurnemanz ‚errichtet’ Parsifal.
XZ: Und die Liebe?
CB: Wie gesagt, die einzige Antwort auf Religion ist die Liebe. Wir müssen das alles aus einer historischen Perspektive betrachten. Wir wissen, dass die Religion viele Katastrophen in der Gesellschaft zu verantworten hat.
XZ: Das ist der militärische Charakter der Oper: die Gralsburg, die Aufmärsche der Gralsritter etc.
CB: Ja, das ist hier der Fanatismus. Diese Musik klingt großartig. Beispielsweise die Musik am Ende des ersten Akts. Ich war sehr überrascht, da ich mich nicht daran erinnern konnte, dass sie bei den Nazis sehr beliebt war, denn diese Musik ist sehr militärisch, aber gleichzeitig benennt sie eine straff geführte Glaubensgemeinschaft, eine Sekte. In Parsifal geht es darum, Dinge im Namen der Liebe zu tun. Das Stück, dieses heilige etwas, diese heilige Musik, weckt Liebe in mir. Es ist schön, es zu erleben, als wäre es Liebe, reine Liebe.
XZ: Ist das der Gral?
CB: Für mich ist der Gral jeglicher Becher, jegliches Symbol. Wir werden hunderte Symbole in dieser Produktion entdecken, denn ich denke, dass das der Gral ist. Ich will den Gral nicht oberflächlich darstellen, das ist nicht mein Stil. Der Gral ist das, was Kung-Fu-Panda im gleichnamigen Film in dem Schrein findet: Ein leeres Stück Papier. Man findet den Gral nur in sich selbst.

In Calixto Bieitos Inszenierung dient nicht nur ein Kelch als Gral
Foto: Martin Sigmund
Foto: Martin Sigmund